Elisabeth - Band 1 by Marie von Nathusius

Elisabeth - Band 1 by Marie von Nathusius

Autor:Marie von Nathusius [Nathusius, Marie von]
Format: epub
Tags: Hist. Roman
Herausgeber: TUX
veröffentlicht: 2009-12-22T22:00:00+00:00


10. Unverhofftes Begegnen

Am Morgen nach der Abschiedsfête ging der Geheimerath Kühneman mit Frau und Kindern nach der Eisenbahn; nur Karl als praktisches Genie fuhr Koffer und Reisetaschen in einer Droschke hin. Die Kinder hatten eine unendliche Reihe von Bestellungen zu machen an die Lieben jung und alt in Woltheim, und es war für Elisabeth eine ziemliche Geduldsprobe, alles anzuhören; aber sie war sehr liebenswürdig und hatte für jeden Auftrag eine freundliche Antwort, bis sie mit der Mutter im Wagen saß und nur noch mit freundlichen Blicken und Winken antworten konnte.

Bei der Fahrt waren Mutter und Tochter schweigsam. Die Mutter war auch wirklich vom Packen, vom Einrichten der Wirtschaft und dem ganzen unruhigen Morgen sehr angegriffen, aber sie hatte sehr angenehme Gedanken, sie dachte mit Freude an Elisabeths leichten Abschied vom winterlichen lebhaften Berlin und war überzeugt, daß ihr Töchterlein ganz unberührt davon geblieben war. Sie knüpfte daran die herrlichsten Pläne für ihr häusliches Leben für den künftigen Winter und für alle Zeiten.

Elisabeth hatte auch angenehme Gedanken. Das Leben bei den Großeltern malte sie sich wundervoll aus, aber ein Bild tauchte darin auf, das ihr jedesmal einen heißen Strahl durch ihr Herz sandte, ein Bild, das sie in der ganzen Adventszeit wirklich ernsthaft zu verbannen suchte, das aber immer wieder auftauchte, und seit dem Romeo-Abend ihr ganzes Herz erfüllte.

In derselben Zeit fuhr der alte Friedrich mit den alten Schimmeln und der alten Glaskutsche nach der Bahn. Beide, Pferde und Wagen, waren nahe an dreißig Jahre alt. Noch sehr gut im Stande, hatten sie keine Veranlassung zum Wechsel gegeben. Sie hatten in ihrem Erscheinen auch etwas ungemein ehrwürdiges und wurden in der ganzen Gegend respectirt. Wenn die Schimmel im bedächtigen Schritt oder Trabe daher kamen, da sagten die Leute in den kleinen Städten und in den Dörfern, die jungen und die alten: Ah, der gnädige Herr von Woltheim! und an der kleinen Eisenbahnstation wurde dieser Equipage weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den eleganten und modernen Equipagen der umwohnenden Oekonomen.

Als Friedrich in sehr langsamem Schritte – natürlich, denn der Wagen war leer, – an Braunhausen vorbei fuhr, kam plötzlich ein Reiter, ein junger Offizier, herbei geflogen.

Fahren Sie nach der Bahn? fragte er.

Aufzuwarten, Herr Lieutenant! entgegnete Friedrich und faßte an seinen Hut. Die Schimmel standen von selbst still.

Wen holen Sie dort ab? fragte der Lieutenant weiter.

Die Frau Geheimeräthin und das Fräulein, war Friedrichs Antwort.

Der junge Herr sah nach seiner Uhr: In einer halben Stunde kommt der Zug, Sie werden zu spät kommen, sagte er.

Ja, ja, das ist wahr, entgegnete Friedrich einverstanden, und dahin flog der Reiter, und die Schimmel schritten bedächtig weiter.

Ein flinker Bursche! sagte Friedrich schmunzelnd, das Herz lacht einem im Leibe, wenn mans sieht. Nun, als wir jung waren, konnten wir auch reiten, der gnädige Herr immer Nummer Eins, und Friedrich Kaseman blieb nicht gern zurück. Ja der Soldatenstand ist ein schöner Stand, aber wenn man alt wird, geht es nicht mehr. Ich und meine Schimmel kommen auch nicht zur rechten Zeit nach der Bahn, aber es läßt sich nichts erzwingen in der Welt, und zuverlässig sind wir von Grunde aus.



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